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neulich gesagt wurde«, einmal erwiderte sie: »Aber neulich habt Ihr etwas ganz anderes gesagt«, und einmal versprach sie auch, während sie verschwand: »Aber wir reden darüber noch einmal, habt Geduld.« Roberto verstand nicht, ob sie ihm aus Zerstreutheit von Mal zu Mal die Worte und Taten eines anderen zuschrieb oder ob sie ihn aus Koketterie provozieren wollte. Doch was ihm dann widerfahren sollte, muß ihn dazu getrieben haben, sich jene seltenen Episoden zu einer noch viel beunruhigenderen Geschichte zusammenzureimen. Die Begehrte Wissenschaft von den Längengraden Es war - endlich ein Datum, an das wir uns halten können - der Abend des 2. Dezember 1642. Sie kamen aus einem Theater, wo Roberto schweigend im Publikum seinen Part als Liebender gespielt hatte. Am Ausgang reichte ihm Lilia flüchtig die Hand und raunte ihm zu: »Monsieur de La Grive, Ihr seid so schüchtern geworden. An jenem Abend wart Ihr das nicht. Also morgen erneut, auf derselben Bühne.« Er war zutiefst verwirrt hinausgegangen: eingeladen zu einem Treffen an einem Ort, den er nicht kennen konnte, und aufgefordert zu wiederholen, was er nie gewagt hatte. Dennoch konnte sie ihn nicht mit einem anderen verwechselt haben, denn sie hatte ihn ja mit seinem Namen angesprochen. Oh - schreibt er, sich gesagt zu haben -, heute fließen die Bäche rückwärts zur Quelle, weiße Rösser erklimmen die Türme von Notre-Dame de Paris, ein Feuer lächelt glühend im Eis, denn nun ist es doch geschehen, daß sie mich eingeladen hat! Oder nein, heute fließt das Blut aus dem Stein, eine Natter paart sich mit einem Bären, die Sonne ist schwarz geworden, denn meine Geliebte hat mir einen Kelch dargeboten, aus dem ich niemals werde trinken können, da ich nicht weiß, wo das Gastmahl ist ... Nur einen Schritt vom Glück entfernt, lief er verzweifelt nach Hause, dem einzigen Ort, an dem er sicher war, sie nicht anzutreffen. Lilias Worte lassen sich in einem sehr viel weniger geheimnisvollen Sinn interpretieren: Sie wollte ihn einfach an seine Rede über das sympathetische Pulver erinnern und ihn auffordern, erneut eine zu halten, und zwar in demselben Salon, in dem er damals gesprochen hatte. Seit damals hatte sie ihn nur still und anbetend gesehen, und das entsprach nicht den Regeln des (sehr streng geregelten) Spiels der Verführung. Heute würden wir sagen, sie wollte ihn an seine gesellschaftlichen Verpflichtungen erinnern. »Nur Mut«, wollte sie sagen, »damals seid Ihr nicht so schüchtern gewesen, begebt Euch erneut auf jene Bühne, ich erwarte Euch an jenem Ort ...« Und eine andere Herausforderung wäre von einer Précieuse auch nicht zu erwarten gewesen. Er aber hatte verstanden: »Was seid Ihr so schüchtern, Ihr seid es doch neulich abend gar nicht gewesen und habt mich ...« (ich stelle mir vor, daß ihn die Eifersucht hinderte und gleichzeitig ermunterte, sich die Fortsetzung des Satzes vorzustellen). »Also morgen erneut, auf derselben Bühne, am selben geheimen Ort.« Es ist nur natürlich, daß er - nachdem seine Phantasie den dornigsten Weg genommen hatte - sofort an eine Personenverwechslung dachte, an jemanden, der sich für ihn ausgegeben und in seiner Gestalt von ihr das bekommen hatte, wofür er sein Leben gegeben hätte. So tauchte Ferrante wieder auf, und alle Fäden seiner Vergangenheit knüpften sich wieder zusammen. Ferrante, sein böses Alter Ego, hatte sich auch in diese Geschichte eingemischt, hatte sich seine Abwesenheiten, seine Verspätungen und seine verfrühten Aufbrüche zunutze gemacht und im richtigen Moment die Prämie für seine Rede über das sympathetische Pulver eingeheimst. Und während Roberto sich dergestalt sorgte und grämte, klopfte es an seine Tür. Hoffnung, Traum wacher Menschen! Er stürzte hin, um zu öffnen, überzeugt, Lilia vor sich zu sehen. Statt dessen war es ein Offizier der Wache des Kardinals mit zwei Mann im Gefolge. »Monsieur de La Grive, nehme ich an«, sagte der Offizier. Und nachdem er sich als Hauptmann de Bar vorgestellt hatte. »Es tut mir sehr leid, Euch das sagen zu müssen, Monsieur, aber Ihr seid verhaftet. Bitte übergebt mir Euren Degen. Wenn Ihr mir gutwillig folgt, werden wir wie zwei gute Freunde in die Kutsche steigen, die auf uns wartet, und Ihr habt keine Veranlassung, Euch zu schämen.« Er gab zu verstehen, daß er den Grund der Verhaftung nicht kenne und sich wünsche, daß es ein Mißverständnis sei. Roberto folgte ihm wortlos, im stillen denselben Wunsch formulierend, und am Ende der Fahrt, nachdem er mit vielen erneuten Entschuldigungen einem verschlafenen Wächter übergeben worden war, fand er sich in einer Zelle der Bastille wieder. Dort verbrachte er zwei eiskalte Nächte, nur besucht von ein paar Ratten (nützliche Vorbereitung auf die Reise mit der Amarilli) und von einem Wächter, der auf jede Frage antwortete, es seien schon so viele illustre Gäste an jenem Ort gewesen, daß er aufgehört habe, sich zu fragen, wieso sie kamen, und wenn da schon seit sieben Jahren ein so großer Herr wie der Marschall de Bassompierre einsitze, habe Roberto keine Veranlassung, sich schon nach ein paar Stunden zu beklagen. Nachdem man ihn zwei Tage lang vom Schlimmsten hatte kosten lassen, erschien am dritten Abend wieder der Hauptmann de Bar, gab ihm Gelegenheit, sich zu waschen, und teilte ihm mit, daß er vor dem Kardinal erscheinen müsse. So begriff Roberto nun wenigstens, daß er ein Staatsgefangener war. Der Abend war schon weit fortgeschritten, als sie den Palast erreichten, und schon die Bewegung am Portal ließ erraten, daß es ein besonderer Abend war. Auf den Stufen wimmelte es von Leuten jeden Standes, die hinauf- und hinabliefen; atemlos kamen Edel- und Kirchenmänner in einen Vorraum gestürzt, räusperten sich wohlerzogen vor den freskenbemalten Wänden, setzten leidende Mienen auf
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