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nichts. Das Haus ist über den Wert hinaus belastet... Ro- guins Gläubiger werden keine dreißig Prozent retten ... So ein alter Kerl von neunundfünfzig Jahren hält sich ein junges Weibsbild aus! Es ist nicht zu glauben!« Crottat hätte noch lange schwatzen können. Aus Birot- teau war alles Leben gewichen. Jedes Wort traf ihn wie ein Keulenschlag. Es war ihm, als läuteten die Totenglo- cken und als stände die ganze Welt in Flammen. Unbe- weglich und leichenblaß stand er da. Crottat erschrak vor seinem Aussehen. Er ahnte nicht, daß Cäsar mehr als sein Vermögen verlor, daß der fromme Mann Selbstmordge- danken hatte! Wenn einen der Tod tausendfältig anstarrt, 222 ist nichts natürlicher, als sich eine Todesart freiwillig zu wählen. Crottat reichte Birotteau den Arm und wollte ihn fortfüh- ren. Unmöglich: die Beine versagten, sie rutschten ihm davon wie einem Betrunkenen. »Was ist Ihnen denn ?« fragte Crottat. »Verehrter Herr Birotteau, nur Mut! Es geht ja nicht ans Leben! Übrigens sind vierzigtausend Francs gerettet. Die Hypothek ist nicht rechtsgültig. Sie ist gar nicht zur Auszahlung und gerichtlichen Eintragung gelangt, folglich wird Ihnen diese Summe zweifellos gerettet!« »Mein Ball!« jammerte Birotteau. »Zweihunderttausend in Wechseln im Umlauf und nichts in der Kasse! Ach, wie recht hatten Ragons, Pillerault und Konstanze!« Seine Gedanken verwirrten sich von neuem. Er war maß- los unglücklich. »Ich wollte, ich stürzte tot zu Boden!« sagte er vor sich hin. »Armer Herr Birotteau!« bedauerte ihn sein Begleiter; »ist es denn so schlimm?« »Schlimm?« »Nur Mut! Nicht werfen lassen! Kämpfen!« »Kämpfen?« wiederholte der Unglückliche. »Wissen Sie«, sagte er nach einer Weile, »ich möchte in dem Zu- 223 stande, in dem ich jetzt bin, nicht nach Hause kommen. Sie ... der Sie ... wenn es überhaupt Freunde im Leben gibt... der Sie mein Freund sind ... der Sie in meiner Fa- milie verkehrt haben.,. fahren Sie mit mir ein Stück spa- zieren ... nehmen wir eine Droschke ... begleiten Sie mich...« Der angehende Notar bugsierte den hilflosen Gegenstand, der Cäsar Birotteau hieß, mit vieler Mühe in eine Droschke. »Alex!« sagte Birotteau mit unter Tränen erstickter Stimme. Die Tränen, die nunmehr seinen Augen entquol- len, lockerten ein wenig das eiserne Band, das sein Hirn umklammert hatte. »Alex, wir wollen nach Hause fahren! Reden Sie statt meiner mit Cölestin! Lieber Freund, sa- gen Sie ihm, daß für mich und meine Frau die ganze E- xistenz auf dem Spiele steht! Meine Frau darf um Him- mels willen von Roguins Verschwinden nichts erfahren. Sprechen Sie mit meiner Tochter, daß sie verhindern hilft, daß man ihrer Mutter von der Sache erzählt.« Die Veränderung der Stimme Birotteaus ergriff Crottat tief. Er erfaßte die Schwere der Situation und erfüllte die geäußerten Wünsche. Cölestin und Cäsarine vermochten vor Schreck nicht zu sprechen, als sie Cäsar wie vom Donner gerührt in der Droschke sitzen sahen. »Ich rechne auf Ihre Diskretion, Crottat!« stammelte Bi- rotteau. »Gott sei Dank, er kommt wieder tu sich! Ich dachte, er stürbe!« rief Crottat. 224 Man teilte Frau Birotteau mit, Cäsar habe eine Art Schlaganfall erlitten. »Kein Wunder!« rief sie aus, ohne die Tragweite des Unglücks im geringsten zu ahnen; »seit acht Wochen arbeitet er wie ein Wilder, als ob uns das tägliche Brot fehlte! Und seine gewohnte Kur hat er dies Jahr zu An- fang des Winters auch nicht gemacht!« Birotteau wurde zu Bett gebracht. Man schickte nach dem Doktor Haudry, dem alten Hausarzt. Das war einer aus Molières Schule, ein alter Praktikus und Freund der althergebrachten Rezepte. Er kam, untersuchte den Kran- ken und verordnete ihm Senfpflaster auf die Fußsohlen. Er konstatierte Blutandrang zum Gehirn. »Wie ist das nur gekommen?« fragte Konstanze. »Die feuchte Witterung!« meinte er. Cäsarine hatte ihn heimlich ein wenig instruiert. Bisweilen gehörte es zur Pflicht eines Arztes, zur Schonung der Angehörigen ei- nes Kranken Komödie zu spielen. Haudry hatte so viel in seiner Praxis erlebt, daß er nach wenigen Worten im Bil- de war. Cäsarine folgte ihm, als er ging, auf die Treppe und bat ihn um Verhaltungsmaßregeln. »Ruhe und nicht reden lassen! Sobald der Kopf wieder frei ist, bekommt er kräftige Nahrung!« Zwei Tage lang brachte Frau Birotteau am Bette ihres Gatten zu. Zuweilen glaubte sie, er sei wahnsinnig ge- worden. Er phantasierte von Dingen, die sie nicht verstand, von Verschwendung, Luxus, den neuen Mö- 225 beln, von übermäßigem Aufwand und so weiter. Einmal richtete er sich im Bett auf und sagte mit feierlicher Stimme Paragraphen aus dem Handelsgesetze her. Er ist verrückt geworden! sagte sich Konstanze. Nach drei schrecklichen Tagen siegte die starke Natur des Tourainer Bauernsohnes über die Gefahren, die sei- nen Verstand bedroht hatten. Seine Gedankenwelt hellte sich auf. Haudry ließ ihm kräftigere Kost geben. Nach zu rechter Zeit verabreichtem starken Kaffee war Birotteau wieder auf den Beinen. Die ermattete Konstanze legte sich an seiner Stelle hin, um sich auszuschlafen. »Arme Frau!« seufzte Cäsar, indem er die Schlafende betrachtete. »Mut, Vater! Du bist ein so kluger Mann, daß du alles überwinden wirst! Anselm steht dir sicherlich auch bei!« tröstete ihn Cäsarine voll sanfter Zärtlichkeit, die ihm unsagbar wohltat. »Ja, mein liebes Kind, ich will kämpfen! Erzähle nie- mandem etwas, auch nicht Popinot oder Onkel Pillerault! Ich will zuvörderst einmal an meinen Bruder schreiben. Er ist Vikar oder Kanonikus an der Kathedralkirche zu Tours. Er lebt sparsam und braucht nichts. Er muß Geld haben. Wenn er sich jährlich tausend Taler gespart hat, so muß er jetzt nach zwanzig Jahren hunderttausend Francs besitzen. In der Provinz haben die Priester auch Kredit.« 226 Cäsarine setzte einen kleinen Tisch vor Cäsar hin und holte Schreibzeug und Briefpapier. In der Eile erwischte sie von dem Rosapapier der Balleinladungen. »Verbrenne den Kram!« rief Birotteau. »Der Teufel hat mich geritten, daß ich den Ball gegeben habe! Wenn ich den Ruin nicht aufhalten kann, wird man mich dieses Festes wegen für einen Betrüger halten. Still, Cäsarine, es ist so! Es gibt keine Entschuldigung!« Birotteau schrieb: Mein lieber Bruder! Ich stecke in einer Geschäftskrise, die so mißlich ist, daß ich Dich auf das inständigste bitten muß, mir alles Geld, über das Du verfügst, zu schicken. Wenn es sein muß, leihe Dir welches! Ganz Dein Cäsar. Deine Nichte, die mir, während meine arme Frau schläft, beim Schreiben dieser Zeilen zusieht, läßt Dich herzlichst grüßen!« Die Nachschrift ward auf Cäsarines Bitte hinzugefügt. Als sie den Brief hinunterschaffte, damit er auf die Post käme, trat ihr Joseph Lebas entgegen. Sie führte ihn hin- auf. »Lieber Vater, Herr Lebas wünscht dich zu sprechen!« rief sie ihrem Vater zu. 227 »Herr Lebas!« wiederholte Cäsar erschrocken, als ob er sich eines Verbrechens zu zeihen hätte; »ein Richter!« »Mein lieber Herr Birotteau!« begann der Eintretende. »Ich nehme viel Anteil an Ihnen, wir kennen uns schon so lange, wir waren obendrein zusammen Richter, und so muß ich Ihnen unbedingt mitteilen, daß ein gewisser Gi- gonnet, ein Wucherer, Wechsel von Ihnen besitzt, die ,ohne Gewährleistung von der Firma Claparon an ihn übergegangen sind. Diese beiden Wörter sind nicht allein
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